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Neuralgie

Neuralgien aller Art gehören im KfN mit zu den häufigsten beklagten Beschwerden. Neuropathische Schmerzen werden durch eine Schädigung afferenter Nerven hervorgerufen und sind von nozizeptiven Schmerzen abzugrenzen. Neben den Schmerzen spielen auch Sensibilitätsstörungen eine relevante Rolle, die z.B. bei der Polyneuropathie (PNP) zu Gleichgewichtsstörungen mit Gangunsicherheit führen können. Entweder ist die Neuralgie sogar der Hauptgrund für den stationären Aufenthalt oder sie ist eine zumindest relevante Nebendiagnose, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann. Führend ist dabei die PNP, gleich ob unklarer Genese, diabetogen oder als Folge einer Chemotherapie, letzteres vor allem nach dem Einsatz von Taxanen sowie hochdosiertem 5-Fluorouracil bzw. seinen Prodrugs. Auf den weiteren Plätzen folgen die Post-Zoster-Neuralgie, die Trigeminus-Neuralgie und der atypische Gesichtsschmerz. Eindeutig toxisch bedingte Neuropathien finden sich im KfN eher selten.

moderate Schmerzreduktion als realistisches Therapieziel

Meist handelt es sich bereits um chronifizierte Beschwerden, die Patient*innen haben in der Regel schon verschiedenste schulmedizinische Therapieversuche hinter sich und sehen eine naturheilkundliche Behandlung oft als letzte Chance.

Um Enttäuschungen zu vermeiden, sollte im Vorfeld auf jeden Fall klar kommuniziert werden, dass eine moderate Schmerzreduktion als realistisches Therapieziel einzustufen wäre. Über die komplementärmedizinischen Behandlungsansätze kann insbesondere versucht werden, zum einen die für die Schmerzentstehung maßgeblichen nozizeptiven C-Fasern lokal zu beeinflussen und zum anderen die zentrale Schmerzsensibilisierung zu reduzieren. Die zentrale Schmerzsensibilisierung kommt ganz generell bei chronischen Schmerzen additiv zu der lokal auslösenden Ursache als komplizierender Faktor hinzu.

Komplementärmedizinische Verfahren bei Neuralgie im KfN

Im Folgenden möchten wir Ihnen einen Überblick über die häufigsten komplementärmedizinischen Verfahren geben, die im KfN bei Neuralgie gezielt zum Einsatz kommen. Wie immer gilt natürlich, dass nicht jedem alles gleich gut bekommt. Die Patient*innen sind angehalten, die einzelnen Verfahren für sich zu bewerten und zwei oder drei davon für eine längerfristige Anwendung in Eigenregie im häuslichen Umfeld auszuwählen.  Als Allgemeinmaßnahmen sollte natürlich immer auch an eine vollwertige Ernährung sowie an Bewegungs- und Entspannungstherapien gedacht werden.

Physiotherapie

Der klassischen Physiotherapie kommt natürlich generell schon eine wichtige Rolle in der Behandlung von Neuralgien zu. Zum einen werden durch Mobilisierung und Muskelaufbau Schwächen in der Muskulatur und Instabilitäten kompensiert, zum anderen kann über sensomotorische-funktionelle Einzelbehandlungen die Oberflächen- und Tiefensensibilität günstig moduliert werden. Hierdurch können auch Schmerzverarbeitung sowie Schmerztrigger positiv beeinflusst werden.

Hydrothermotherapie

Hydrothermotherapeutisch werden im KfN bei PNP kalte oder wechselwarme Güsse zur Linderung der Symptomatik verordnet, die sich auch im häuslichen Umfeld leicht fortführen lassen. Vorsicht ist natürlich bei eventuell gestörter Thermosensibilität geboten. Wenn es nicht innerhalb von 30-45 Minuten nach der Anwendung zu einer vollständigen Wiedererwärmung kommt, ist der Reiz individuell zu stark gewählt.

Als sehr wohltuend werden von den Patient*innen in der Regel auch die sog. CO2-Bäder empfunden. Auch diese sind im häuslichen Umfeld leicht umzusetzen, entsprechende Badezusätze in Tabletten- oder Pulverform können günstig erworben werden. Der CO2-Kontakt führt zu einer peripheren Stimulation des Gewebes mit Gefäßerweiterung und verbesserter Hautdurchblutung mit einer milden Kreislaufanregung.

Elektrotherapie

Ein großes therapeutisches Spektrum umfasst die Elektrotherapie. Bei Neuralgien kommen hier neben 2- und 4-Zellenbädern gerade auch die transkutane elektrische Nervenstimulation, die sog. TENS-Behandlung in Betracht. Diese kann im Rahmen des stationären Aufenthalts auf ihre individuelle Wirksamkeit und Verträglichkeit getestet werden und bei Erfolg dann auch für den häuslichen Gebrauch rezeptiert werden. Die Applikation des Stromreizes mittels sogenannter Stimulationshandschuhe und/oder -socken hat sich v. a. bei der Polyneuropathie der Hände und Füße sehr bewährt.

Aromatherapie

Zur äußeren Anwendung können ätherische Öle kommen, die auch zur Langzeittherapie geeignet sind. In Frage kommen dabei ganz verschiedene Öle, wie z.B. Fichtennadel-, Kiefernadel-, Minz-, Pfefferminz-, oder Rosmarinöl. Die ätherischen Öle wirken über eine Anregung der Kälterezeptoren der Haut kühlend. Somit wird die Schmerzweiterleitung vermindert, was wiederum zu dem lokal anästhesierenden Effekt führt. In höheren Konzentrationen wirken sie aber eher reizend und hyperämisierend. Ätherische Öle stehen in alkoholischen oder wässrig-alkoholischen Lösungen für Umschläge, für Einreibungen oder auch als Salbenzubereitungen zur Verfügung. Aus der Sportmedizin kennt man schon lange das Menthol-Kälte-Spray als bewährtes Schmerzmittel.

Im KfN setzen wir besonders gerne das anthroposophische Aconit Schmerzöl ein, welches bis zu viermal täglich aufgetragen werden kann. Probatorisch können bei PNP der Füße auch abendliche warme Lavendel-Fußbäder (beruhigend, entspannend) oder morgendliche Rosmarin-Fußbäder (anregend, vitalisierend) versucht werden, ebenso kommen Lehmpackungen und Heilerde-Auflagen in Frage.

Eine besondere Stellung im KfN hat das Johanniskrautöl (Rotöl, Hypericum). Mit seinem traditionell starken Bezug zu Nervenerkrankungen applizieren wir warme Johanniskrautölauflagen (einmal täglich für ca 20 Minuten), diese können auch gut im Gesichtsbereich aufgelegt werden, z.B. bei Trigeminusneuralgie oder atypischem Gesichtsschmerz.

Wickel und Umschläge

Längst etabliert in der Behandlung von Neuralgien ist der Wirkstoff Capsaicin aus Cayennepfefferfrüchten (=Spanischer Pfeffer bzw. Roter Pfeffer). Es handelt es sich um einen antiphlogistisch wirkenden Hautreizstoff, der von der EU-Arzneimittelkommission zur Behandlung von peripheren neuropathischen Schmerzen als Monopräparat oder in Kombination mit anderen Arzneistoffen zugelassen ist. Bei Patienten, die an Diabetes mellitus leiden, fehlt zwar die offizielle Zulassung, was aber nur an der mangelhaften Studienlage liegt, ein leider noch zu häufiges Problem der Komplementärmedizin. Capsaicin wirkt lokal hyperämisierend und analgetisch, antiphlogistisch, cortisonähnlich und juckreizlindernd. Es besteht ein sog. Counter-irritant-Effekt, d. h. es kommt durch die Reizung zu einer fast vollständigen Ausschüttung von Substanz P, dann zu einer Hemmung des Transports und der Neusynthese von Substanz P, sodass die Schmerzleitung der Nerven quasi unterbrochen wird i. S. einer Desensibilisierung der Nozizeptoren. Eine langfristige niedrigdosierte oder auch eine kurzfristig hochdosierte Behandlung mit Capsaicin führt zu einem sogar histologisch nachweisbaren „Rückzug“ (neurotoxische Wirkung) der für die Schmerzwahrnehmung verantwortlichen Nozizeptoren. Hierdurch wird der langfristige schmerzlindernde Effekt erklärt. Der Wirkstoff kann in Form von Salben oder Wärmepflastern aufgetragen werden, Vorsicht ist allerdings geboten bei bekannten Allergien gegen Paprika oder Cayennepfeffer. Bei Dosierungen über 0,075 % Capsaicin sowie bei Pflastern und Okklusivverbänden sollte eine Anwendungsdauer von zwei Tagen nicht überschritten werden, da es sonst theoretisch sogar zu irreversiblen Schädigungen sensibler Nerven kommen könnte. Bei Salben oder Cremes mit einem Capsaicingehalt von nicht über 0,075 %, die max. zwei- bis dreimal tägl. auf die Haut aufgetragen werden, ist diese Nebenwirkung nicht zu erwarten. Es liegen u.a. positive Studienergebnisse für Post-Zoster-Neuralgie und sogar auch für diabetische Polyneuropathie vor. Wichtig ist, die Patienten auf ein mögliches, deutliches anfängliches Hautbrennen und Dysästhesien als Nebenwirkung aufmerksam zu machen.

Ähnlich wie Capsaicin wirken auch weiße Senfsamen, diese können als Breiumschlag appliziert werden, d. h. drei bis vier Esslöffel Senfmehl mit warmem Wasser zu einer breiartigen Konsistenz verrühren und dann als Umschläge 10-15 Min. auf der Haut belassen mit einer max. Anwendungshäufigkeit von zwei bis viermal täglich. Die Anwendungsdauer sollte aber nicht länger als zwei Wochen betragen, da Benzylsenföle zu Reizungen des Nierenepithels führen können und Haut- und Nervenreizungen hervorrufen können. Bei Nierenerkrankungen ist die Anwendung sogar kontraindiziert.

Die Neuropathie als Domäne der orthomolekularen Medizin

Die Neuropathie ist ferner eine Domäne der orthomolekularen Medizin. Im KfN verordnen wir bei dieser Indikation in der Regel hochdosierte neurotrope B Vitamine (B1, B2, B6, B12 und Nicotinamid) über einen Zeitraum von ca. drei Monaten. Hierbei geht es nicht darum, etwaige Mangelzustände auszugleichen, sondern durch die passagere Einnahme von hohen Dosierungen therapeutische Effekte zu erzielen.

Als neurotropes Antioxidans spielt auch Vitamin E eine wichtige Rolle in der Behandlung von Neuropathien, hier können 100-300 mg/Tag bedenkenlos auch längerfristig, d. h. über Monate, nebenwirkungsfrei substituiert werden. Bei Vitamin C wiederum ist eine Überdosierung kaum möglich, wir empfehlen therapeutisch die Einnahme von ein bis zwei Gramm pro Tag. Vitamin C ist nur für den Menschen und andere Primaten, Meerschweinchen sowie einige Vogel- und Fischarten ein essenzieller Nährstoff. Alle anderen Lebewesen können Vitamin C selbst synthetisieren und steigern die körpereigene Vitamin C Produktion bei Stress oder Krankheit um ein Mehrfaches, sodass eine hochdosierte Vitamin C Substitution beim Menschen in Krankheits- oder Stresssituationen durchaus als sinnvoll erscheint. Ein weiteres bewährtes Antioxidans bei Neuropathien stellt die Alpha-Liponsäure dar, die man durchaus zunächst ein bis zwei Wochen intravenös 600mg pro Tag geben kann, dann dauerhaft täglich 600 mg oral. Die Wirksamkeit der Alpha-Liponsäure bei diabetischer Polyneuropathie ist bereits durch Studien belegt. Wegen ihrer neuroregenerativen Wirkung ist auch auf eine erhöhte Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren zu achten. Die Zieldosis liegt dabei bei etwa zwei bis drei Gramm pro Tag. Dies kann aber leicht mit dem Verzehr von etwa zwei Esslöffel Leinöl pro Tag erreicht werden, z.B. eingearbeitet in das Frühstücksmüsli. Ferner sollte der Selenspiegel in den hochnormalen Bereich angehoben werden. Selen hat allerdings eine relativ geringe therapeutische Breite, ab einer Zufuhr von mehr als 1000 µg täglich über mehrere Monate kommt es zu Überdosierungen mit Kopfschmerzen, Haarausfall, Magen-Darm-Problemen und knoblauchartiger Atemluft. Therapeutisch sollten 50-300 µg täglich substituiert werden, idealerweise jeweils orientiert am individuellen Selenspiegel.

Moderate Ganzkörperhyperthermie

Probatorisch kann bei Neuropathien auch die moderate Ganzkörperhyperthermie (mGKHT) zum Einsatz kommen. Hierbei handelt es sich um einen der stärksten naturheilkundlichen Reize überhaupt. Über die passagere Erhöhung der Körperkerntemperatur in den Fieberbereich bis max. 40,5 °C kommt es zu einer starken Stoffwechselsteigerung, sodass regenerative und regulative Prozesse angestoßen werden. Die mGKHT wirkt erwiesenermaßen u.a. schmerzlindernd, tiefgreifend entspannend auf die Muskulatur, vegetativ ausgleichend und mild antidepressiv.

Ausleitende Verfahren

Bei Polyneuropathien der unteren Extremitäten kann durchaus eine segmentale Therapie mit Schröpfen oder Blutegeln im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule erwogen werden. Bei Post-Zoster-Neuralgie im thorakalen Bereich hat sich die frühe Blutegeltherapie als gut wirksam erwiesen. Neuraltherapeutisch kann an einen Einsatz der Neuraltherapie als Segmenttherapie v. a. bei Post-Zoster- und Trigeminusneuralgie gedacht werden.

Homöopathie - Immer eine individuelle Anamnese nötig

Exemplarische Aufführung einiger bewährter homöopathischer Mittel bei Neuropathie:

neuralgische, stechende, brennende Schmerzen der trockenen, heißen Haut, Gefühl von Brennen oder Kälte, Taubheitsgefühl, Berührungsempfindlichkeit, Unverträglichkeit des kleinsten Luftzuges, oft große Unruhe, Durst; schlimmer nachts und durch Wärme

Hier sei auch auf das Aconit-Schmerzöl zur lokalen Anwendung hingewiesen (D9)

Parästhesien und Kältegefühl der Haut (“wie von Eisnadeln”) bei objektiv warmer Haut; Schmerz- und Kälteempfindlichkeit, nervöse Überlebendigkeit, Schwatzhaftigkeit, Phantasien, Blasenlähmung, Muskelzuckungen; schlimmer morgens, bei Kälte, Sonne; besser durch Bewegung im Freien

periodische Wiederkehr neuralgischer Schmerzen mit Kälteschmerz, Parästhesien, Gefühl, als ob Körperteile vergrößert sind; schlimmer durch Feuchtigkeit, Bewegung; besser durch Wärme, Druck

neuralgische, brennende Schmerzen mit Taubheitsgefühl, dabei äußerste Schwäche und Erschöpfung, oft (Todes-)Angst, Durst auf kleine Mengen; schlimmer nachts (um Mitternacht), Kälte; besser durch Wärme

scharfer, einschießender, neuralgischer Schmerz (“wie mit Messer”), plötzlich kommend und gehend, typisch ist der intermittierende Charakter des Schmerzes; schlechter durch Kälte in jeder Form, Berührung, Bewegung; besser durch Wärme, Druck

hypästhetische Hautbezirke (oder Gefühl des Brennens), Körperteile werden nicht als körpereigen empfunden, nervöser Reizzustand, Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen und Gerüchen, Blaseninkontinenz; schlimmer nachts; besser durch fortgesetzte Bewegung

periodisch auftretende, neuralgische Schmerzen, oft links, Beschwerden steigen und fallen mit der Sonne; schlimmer durch Bewegung, Geräusche, Berührung, Sturm, Wetterwechsel

Parästhesien mit Taubheitsgefühl, Ameisenlaufen, Kältegefühl, gefolgt von Schweregefühl der Glieder bis zur Lähmung, zwanghafter Bewegungsdrang, Zittern der Glieder, Konvulsionen, Überempfindlichkeit aller Sinnesorgane; schlechter durch Ruhe; besser durch Bewegung

neuralgische Gliederschmerzen mit Gefühl der Lähmung; krampfartiger, drückender Fußsohlenschmerz