Zum Hauptinhalt springen

Das Post-Covid-Syndrom

Das sogenannte Post-Covid-Syndrom, oder auch als Long-Covid (ICD U09.9) bezeichnet, ist derzeit in aller Munde. Zahlreiche Patienten haben das Gefühl, dass ihr Leben durch eine nur schwer objektivierbare Symptomatik völlig aus den Fugen geraten ist. Sie beklagen eine massive Erschöpfung, die es unmöglich macht, den bisher gewohnten Alltag auch nur ansatzweise zu bewältigen. “Mal richtig ausschlafen“ oder “ein ruhiges Wochenende“ können daran nichts ändern. Vielmehr droht nach jedem Überschreiten der individuellen Belastungsgrenze, die sehr niedrig liegen kann, ein unter Umständen tage- oder sogar wochenlanger weiterer körperlicher Einbruch. Das kann in eine Abwärtsspirale münden, die tatsächlich existenzbedrohende Ausmaße annehmen kann. Dies betrifft die finanzielle Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit, aber auch das soziale Netzwerk, v.a. da man den Patienten äußerlich die Erkrankung mitunter kaum ansieht. Das kann in Unverständnis, mangelnde Unterstützung und soziale Zurückweisung münden.

Auch Wochen oder Monate nach der akuten Infektion können noch Symptome bestehen

Die Patienten klagen aber nicht nur über eine massive Erschöpfung, respiratorische Symptome wie Reizhusten, thorakale Beklemmung und Kurzatmigkeit sind genauso häufig zu finden wie neurologische Symptome. Letztere äußern sich u.a. in Kopfschmerzen, in Störungen von Hören, Sehen und Riechen, in Konzentrations-, Wortfindungs- und Koordinationsstörungen aber beispielsweise auch in einer Schwindelsymptomatik oder neuropathischen Schmerzen. So gibt es Patienten, die nun beim Treppensteigen immer wieder stürzen oder denen sogar beim Schreiben des eigenen Namens ein Fehler unterläuft. Die Patienten beklagen zudem regelhaft ein rezidivierendes Erkrankungsgefühl wie bei einem grippalen Infekt, Schlafstörungen, reizdarmähnliche Beschwerden und Herzrasen. Auch Haarausfall und Tinnitus sind dokumentiert. Typisch ist auch, dass die Intensität der Symptomatik von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde sehr variabel sein kann.

Die Symptomatik beginnt meist schleichend innerhalb von wenigen Wochen nach einer vermeintlich glimpflich überstandenen Covid-19-Infektion. Die zeitliche Nähe zu einer Corona-Infektion ist dann auch der bislang einzige objektivierbare Hinweis auf ein Post-Covid-Syndrom, die etablierten schulmedizinischen neurologischen, pulmologischen und kardiologischen Routineuntersuchungen bleiben in der Regel unauffällig. Sie sind aber wichtig, da es sich bei Long-Covid (noch) um eine Ausschlussdiagnose handelt, d.h. andere mögliche Pathologien, die zu einer ähnlichen Symptomatik führen könnten, müssen ausgeschlossen werden. Erschwerend kommt aber auch noch hinzu, dass viele Patienten zuvor eine so symptomarme Corona-Infektion durchgemacht haben, dass sie unerkannt blieb und nun nur noch durch erhöhte IgG-Antikörper retrospektiv zu postulieren ist.

Je nach Studie beklagt etwa jeder achte an Corona Erkrankte zwölf Wochen nach scheinbar überstandener akuter Erkrankung noch eines oder mehrerer o.g. Symptome. Ob auch Geimpfte, die je nach Impfstoff und Corona-Virus-Variante ja mindestens vor schweren akuten Krankheitsverläufen sicher geschützt sein sollten, ein Post-Covid-Syndrom entwickeln können, ist noch nicht sicher auszuschließen. Kinder und Jugendliche sind glücklicherweise deutlich weniger anfällig für einen symptomatischen Verlauf einer Corona-Infektion und auch für die Entwicklung eines Post-Covid-Syndroms, erste Schätzungen gehen davon aus, dass jedes tausendste Kind, das Covid-19-positiv war, ein Long-Covid-Syndrom entwickelt. Allerdings ist noch nicht absehbar, ob und wann allen Kindern und Jugendlichen ein Impfangebot gemacht werden kann. Daher ist davon auszugehen, dass sich mit zunehmenden Öffnungen und Lockerungen sehr viele Kinder und Jugendliche noch mit Corona infizieren werden, zwar dann glücklicherweise in der Regel symptomarm oder -frei, aber mit einem Risiko von etwa 1:1000 für ein Post-Covid-Syndrom. So könnte es weltweit doch zu einer nicht unerheblichen Zahl an betroffenen Kindern und Jugendlichen kommen. Dies ist besonders bedenklich, da der Langzeitverlauf eines Post-Covid-Syndroms noch nicht wirklich abgeschätzt werden kann.

Klar zu trennen von den Long-Covid-Patienten sind die Patienten, die sich von einem schweren Verlauf einer Corona-Erkrankung, ggf. mit Langzeitbeatmung und Multiorganversagen erholen müssen. Dies ist natürlich auch ein langer und steiniger Weg und in vielen Fällen wird eine Rückkehr zum vorherigen Gesundheitszustand auch nicht mehr vollständig gelingen, doch sieht man hier die Prognose derzeit tatsächlich optimistischer als bei Long-Covid ohne greifbare strukturelle Läsionen.

Mögliche Ursachen des Post-Covid-Syndroms und Gemeinsamkeiten mit der Myalgischen Enzephalomyelitis/dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS)

So unsicher wie die Langzeit-Prognose des Post-Covid-Syndroms, so offen ist es auch, ob und wann vielleicht eine ursächliche Therapie der Patienten möglich sein wird. Hierfür müsste natürlich zunächst einmal die zugrundeliegende Pathogenese der Beschwerden geklärt werden. Vieles deutet dabei auf eine anhaltende fehlgeleitete Immunantwort des Körpers auf das Virus hin, quasi ähnlich einer Autoimmunerkrankung. Weltweit wird man sich der sozioökonomischen Problematik des Post-Covid-Syndroms zunehmend bewusst, so dass auch mehr und mehr Gelder für die Erforschung dieses Phänomens bereitgestellt werden.

Folgende federführende Theorien haben sich dabei bisher herauskristallisiert

  • Dem Immunsystem des Patienten gelingt es nicht, das Virus vollständig zu eliminieren. Die Viren könnten sich dann in Reservoirs irgendwo im Körper “einnisten“ und von dort aus immer wieder das Immunsystem des Patienten herausfordern, einer chronischen Infektion mit evtl. wellenartigen Verläufen entsprechend.
  • Fragmente des Virus könnten im Gewebe der PatientInnen zurückbleiben. Diese Fragmente könnten noch Monate nach der ursprünglichen Infektion eine Reaktion des Immunsystems auslösen, die dann in eine langanhaltende Immunreaktion des eigenen Körpers mündet. Die Symptome rührten dann nicht vom Virus selbst her, sondern von einer dauerhaft getriggerten Immunreaktion durch Virusfragmente.
  • Drittens könnten sich infolge der Viruserkrankung Autoantikörper bilden. Diese Autoantikörper würden dann bei manchen Patienten eine Autoimmunkrankheit auslösen. Auch hier würde das Virus nicht direkt den Körper angreifen.

Zu allen drei Theorien haben Forscher im Laufe der Zeit Hinweise gefunden. Es wurden Virenreservoirs im körpereigenen Gewebe entdeckt, Virenfragmente wurden nachgewiesen und ein erhöhtes Vorkommen von Autoantikörpern wurde im Blut mancher Post-Covid-Patienten festgestellt.

Die Symptome von Long-Covid und von ME/CFS weisen eine auffallend große Schnittmenge auf.

ME/CFS ist noch relativ unbekannt, vor allem, weil dazu erst seit wenigen Jahren international geforscht wird und es lange als "psychosomatisch" betrachtet wurde. Weltweit leiden etwa 17 Millionen Menschen daran, in Deutschland bis zu 300.000.

ME/CFS als neurologische Erkrankung in Deutschland kaum anerkannt

Seit 1969 wird ME/CFS von der WHO als neurologische Erkrankung geführt. Sowohl in den USA als auch in den Niederlanden werden Forschungsgelder für ME/CFS Studien bereitgestellt in Deutschland jedoch kaum.

Das Bundesgesundheitsministerium umschreibt die Krankheit mit einer `anhaltenden geistigen und körperlichen Erschöpfung`. Bis heute existiert kein Biomarker im menschlichen Körper, mit dessen Hilfe man ME/CFS eindeutig diagnostizieren könnte. Charakteristisches Merkmal sind eine um mindestens 50% reduzierte Vitalität und eine Zunahme aller Beschwerden für mindestens 24 Stunden, mehrere Tage oder sogar auch Wochen nach einer nicht, im Verhältnis stehenden, körperlichen Belastung. Letzteres wird auch als “post-exertionelle Malaise“ bezeichnet. Daher ist das sogenannte “Pacing“ ein entscheidender Teil der derzeitigen Behandlung bei ME/CFS. Der Patient soll lernen, seine individuelle Toleranzgrenze eben gerade nicht zu überschreiten, da sonst eine Abwärtsspirale droht. Es können aber noch viele andere Symptome mit ME/CFS assoziiert sein, ähnlich wie bei Long-Covid. Das reicht von Herzrasen und Kollapsneigung über diffuse Schmerzen und fast schon alle denkbaren vegetativen Symptome bis hin zu Konzentrations- und Wortfindungsstörungen. Die Diagnose wird nach dem Ausschlussprinzip anhand eines Kriterienkatalogs gestellt ("Kanadische Kriterien").

Wie groß ist nun die Schnittmenge von Long-Covid und ME/CFS?

In einer ersten deutschen Studie mit 42 Long-Covid-Patienten konnte nach den strengen "Kanadischen Kriterien" immerhin bei jedem zweiten Patienten ME/CFS diagnostiziert werden.

Was konkret ME/CFS verursacht und wie es chronisch wird, ist noch Gegenstand der Forschung, aber Auslöser ist fast immer eine Virusinfektion, u.a. Epstein-Barr-Virus, Influenza-Viren, aber auch der Sars-Virus -Vorgänger des aktuellen Coronavirus. Vermutlich handelt es sich bei ME/CFS um eine Autoimmunkrankheit. Die Hinweise verdichten sich, dass dies zumindest auch für einen Teil der Long-Covid-Patienten gilt.

Bei ME/CFS-Patienten fielen z.B. Autoantikörper auf, die die Ausschüttung von Adrenalin im Körper beeinflussen. Das könnte dazu führen, dass sich bei ME/CFS-Patienten Blutgefäße unter Stress, zum Beispiel bei Anstrengung, verengen. Dies könnte die Blutzirkulation der Muskulatur soweit beeinflussen, dass deren Regenerationsfähigkeit nach Muskelarbeit deutlich beeinträchtigt ist. Diese Theorie wird durch Kraftmessungen bei ME/CFS-Patienten gestützt, zum Beispiel durch Messungen der Handkraft. Zerebral könnte der gedrosselte Blutfluss für das häufig beklagte Phänomen des "brain fog" verantwortlich sein.

Würde diese Hypothese auch auf Long-Covid zutreffen, würden zumindest ein paar der offenen Fragen beantwortet. Man fände kaum Auffälligkeiten an Organen wie Herz und Lunge, weil sich die Ursache für die Beschwerden eher in der gestörten und nicht mehr adäquaten Blutversorgung dieser Organe verbirgt, nicht in den Organen selbst. Hinzu kommen vermutlich auch autoimmunologisch vermittelte Störungen des autoregulativen vegetativen Nervensystems. So gibt es Hinweise, dass bei Post-Covid-Patienten die unwillkürliche Steuerung der Atemmuskulatur im Atemzentrum völlig außer Takt geraten ist und erst mühsam wieder erlernt werden muss.

Komplementärmedizinische Behandlungsansätze bei einem Post-Covid-Syndrom

Mindestens solange die Pathogenese von ME/CFS bzw. Long-Covid noch nicht gänzlich verstanden ist, wird man keine ursächliche Therapie zur Verfügung haben, sondern sich auf eine möglichst effektive symptomatische Therapie konzentrieren müssen. Und da hat gerade die Komplementärmedizin eine ganze Menge zu bieten:

  • Die klassische Naturheilkunde nach Kneipp, aber auch die traditionelle europäische Medizin mit ihren ausleitenden Verfahren und die Homöopathie setzen fein abstufbare Reize, die die Autoregulation des Körpers anregen sollen und damit die Rekonvaleszenz unterstützen.
  • Zudem ist ein symptomorientierter Einsatz zur Linderung von Beschwerden möglich, z.B. bei Schmerzen oder reizdarmartigen Verdauungsbeschwerden.
  • Post-Covid-Patienten sind gleichzeitig massiv durch ihren Zustand gestresst und dabei erschöpft und leiden noch dazu regelmäßig unter Schlafstörungen. Hier können wohldosierte Reize, wie z.B. Güsse, Wickel und Auflagen das vegetative Nervensystem ausgleichen und stärken.
  • Entspannungsübungen sind genauso wichtig, wie moderate Bewegungsübungen und eine individuell abgestimmte Vollwerternährung.
  • Unterstützend können Phytotherapeutika (z.B. Ginseng) und die orthomolekulare Medizin (z.B. Vitamin C-Infusionen) eingesetzt werden.
  • Gerade bei der oft beklagten Kurzatmigkeit sind aktive Atemübungen sowie eine serielle individuelle oder reflektorische Atemtherapie sehr hilfreich.

Große Hoffnungen setzen wir in die moderate Ganzkörperhyperthermie

Hier haben wir bei ME/CFS - Patienten genauso regelmäßig ein sehr positives Feedback wie bei Patienten mit chronischer Infektanfälligkeit und Patienten mit chronisch entzündlichen Lungenerkrankung, wie z.B. Asthma bronchiale oder Sarkoidose. Auch wenn gerade bzgl. Post-Covid hier noch weitere Erfahrungen gesammelt werden müssen, so lassen diese positiven Erfahrungen auch hier auf günstige Effekte hoffen.

Derzeit befinden wir uns in der Planungsphase für eine klinische Studie zum Thema naturheilkundliche Komplexbehandlung und speziell Hyperthermie bei Post-Covid-Syndrom, in der wir auch bzgl. des Langzeitverlaufs nach/unter komplementärmedizinischer Behandlung valide Daten sammeln möchten. Sobald es hierzu Neuigkeiten gibt, werden diese in einem unserer nächsten Newsletter an Sie versendet.

Lesen Sie hierzu unter der Rubrik "Interessantes aus der Wissenschaft" auch unseren Artikel "Hyperthermie und Fibromyalgiesyndrom".